Gestern wurde auf nationaler Ebene gewählt. Neue und alte Köpfe wurden in die Räte nach Bern berufen. Man spricht von einem Wahlsieg der Grünen und der Grünliberalen, vor allem auf Kosten der SP und der SVP. Die SVP ist nach wie vor am stärksten vertreten und die Grünen haben die CVP auf nationaler Ebene als viertstärkste Kraft abgelöst.
Um die Katze gleich aus dem Sack zu lassen: Ich habe grün gewählt. Ich gebe auch zu, dass ich Greta Thunberg gut leiden kann. Für mich ist sie eine inspirierende Figur. In einem so jungen Alter so viel bewegen zu können finde ich eindrücklich.
Die Schweiz hat gewählt – und wie. Die Grünen und die Grünliberalen holen viele neue Sitze, es riecht schon fast ein Bisschen nach Umbruch in Bundesbern. Das freut mich als Unterstützer dieser Parteien natürlich ausserordentlich. Doch dieser Wahlsieg ist trotzdem mit Vorsicht zu geniessen.
Bleiben wir auf dem Boden
Klar, auf den ersten Blick scheint die Veränderung signifikant. An der Aufteilung der Machtverhältnisse in den Räten ändert sich aber bei genauerem Hinsehen wenig. Ein Viertel der Bevölkerung hat immer noch SVP gewählt und die « bürgerliche Mitte » hat sich gut gehalten. Im Ständerat dürfte die CVP weiter übervertreten sein, was nicht auf grosse Veränderungen hoffen lässt.
Dann gibt es Leute die bereits laut überlegen, ob ein grüner Bundesratssitz nun zur Debatte stehe. Bei solchen Spekulationen ist meiner Meinung nach Vorsicht geboten, eines nach dem anderen. Die Grünen werden sich erst etablieren müssen. Können sie in vier Jahren ihre Position verteidigen oder sogar ausbauen, ist der Angriff auf einen Bundesratssitz wahrscheinlicher zu schaffen. Bis dahin werden sie sich wohl noch gedulden müssen.
Spürbare Gegenreaktionen
Bei jeder Wahl gibt es Gewinner und Verlierer. Wer trotz Verlusten den Kopf hoch hält und dem Gewinner die Hand reicht, behält die Fassung und hat meine Anerkennung. Wer herumnörgelt und Tatsachen nicht akzeptieren kann, ist in meinen Augen ein schlechter Verlierer. Dieser Typus tummelt sich dann oft in Kommentarspalten von Online-Newsportalen und das war auch heute nicht anders. Viele der Kommentatoren sahen bereits den Untergang des Landes auf sich zurollen. Man werde das Autofahren sündhaft teuer machen, hiess es. Die sozial Benachteiligten werde es am Geldbeutel treffen und das werde sich rächen war der Konsens.
Ich finde diese Kommentarspalten ein interessantes Phänomen. Die eigene Meinung kann dort anonym kundgetan werden und wer am Ende die meisten Likes erhält, hat Recht. Dass für das liken der Kommentare kein Login nötig ist, ist äusserst fragwürdig. Jeder zweitklassige Informatiker kann ein Bash-Skript kreieren, welches anhand einer Server-Liste innerhalb von wenigen Minuten hunderte, wenn nicht tausende dieser Likes auf Kommentaren verteilt. Ich weiss nicht, wie vielen Menschen dies bewusst ist. So können auch unpopuläre Meinungen schnell als breit akzeptiert dargestellt werden, was die Allgemeinheit natürlich täuscht. Es ist deshalb vermutlich am besten, wenn man sich gar nicht erst auf die Kommentare einlässt. Das ist auch für das eigene Gemüt und das psychische Wohl die bessere Lösung.
Bei den Kommentaren zur Wahl hingegen muss ich den Intelligenzbolzen aus den Kommentarspalten teilweise Recht geben. Wenn die neu erstarkte links-grüne Fraktion nun mit Geboten, Verboten und Steuern in die Vollen geht, könnte sich dies sehr negativ in den Köpfen der Wahlbevölkerung niederschlagen. Ich persönlich bin bereit, für Treibstoff und Flüge sowie Abfall und CO2-Ausstoss bis zu einem gewissen Grad mehr zu bezahlen. Aber ich denke, dass ich hier auf keinen Fall von mir auf andere schliessen darf. Denn nichts ist Herr und Frau Schweizer heiliger, als die eigene Geldbörse. Daran sind bereits viele gute Vorlagen gescheitert.
Ich wünsche den Grünen daher viel Erfolg bei der Durchsetzung von Beschränkungen zu Gunsten der Umwelt ohne den neu gewonnenen Unterstützern dabei zu sehr auf den Füssen herumzutreten – in der Hoffnung, dass dies trotzdem irgendwie wirkungsvoll möglich ist. Ich bin froh, dass ich mit dieser Problematik (noch) nicht direkt konfrontiert bin.
Demokratiemüde Schweizer
Ein paar Worte möchte ich noch zur Wahlbeteiligung verlieren. Diese lag mit ca. 45% bei einem eher tiefen Wert, was für mich die grösste Sorge dieser Wahl ist. Ich bin ein Vertreter der Demokratie wie wir sie in der Schweiz pflegen und bin eigentlich der Überzeugung, dass wir als Teil des Volkes über genügend Mittel verfügen, Einfluss auf das Geschehen in der Politik zu nehmen.
Deswegen finde ich es besonders bedauernswert, dass nicht einmal die Hälfte der Stimmbevölkerung am Sonntag zur Urne ging. Es gibt nämlich keine Ausreden gegen das Abstimmen – wer in einem Land wohnt, muss sich mit dem dortigen Geschehen auseinandersetzen. Wählen ist einfach und das schöne ist ja, dass keine Vorkenntnisse nötig sind. Mein fester Vorsatz für 2023 ist daher, mehr Leute zum wählen zu animieren, egal für wen sie stimmen. Denn selbst wer nicht dieselben Werte vertritt wie ich, hat mit seiner Teilnahme an der Abstimmung etwas für die Demokratie getan. Das werte ich höher als alles andere.
#WahlenCH19